III. Am Rand Europas. 1946 - 1969

Der Neuanfang im Burgenland ist schwierig. Die Region gehörte bereits vor dem zweiten Weltkrieg zu den ärmsten Regionen Österreichs. Das Ausmaß der Zerstörungen durch Kämpfe ist im Burgenland besonders hoch, der Anteil an Hilfe aus dem Marshall-Plan mit 0,33 % äußerst gering.
In den Jahren bis zum Staatsvertrag gibt es kaum positive Impulse, die sowjetische Besatzung schreckt potenzielle Investoren ab. Die Bevölkerung lebt in Angst vor den Russen, nicht konformes Verhalten wird mit Gefängnis oder gar Deportation geahndet. Aufsehen erregt die Verhaftung des sozialistischen Landesrats Hans Bögl, der gleichzeitig verantwortlicher Chefredakteur der „Burgenländischen Freiheit“ (BF) ist, die seit dem 21. Februar 1946 wieder erscheint. Grund für die Verhaftung ist ein BF-Artikel über die „unhaltbaren Sicherheitsverhältnisse“. Nach sechs Wochen Haft wird der spätere Landeshauptmann Bögl von einem Militärgericht zu drei Jahren Zwangsarbeit, ein Jahr auf Bewährung, verurteilt.

Die Landesverwaltung hat mit schwerem Personalmangel zu kämpfen, der Großteil der Beamten und Lehrer ist nationalsozialistisch belastet. Der Umgang damit wird daher eher großzügig gehandhabt. Versuche zur Wiedergutmachung an Juden, Roma und Sinti finden nicht statt.


NR. 38, 19.09.1948
Spatenstich zur Nord-Süd-Verbindung
Allmählich findet das Land zu sich selbst. Im Jahr 1948 wird mit dem Baubeginn der „Nord-Süd-Verbindung“, die alle Bezirke des Landes verbindet, ein identitätspolitisches Großprojekt gestartet. Wohl noch bedeutsamer zur Entwicklung eines positiven Wir-Gefühls ist die Gründung der burgenländischen Fußball-Landesliga 1949.
Die Erholung der Wirtschaft geht weiterhin nur schleppend voran, die Mechanisierung der Landwirtschaft sorgt zusätzlich für steigende Arbeitslosigkeit. Viele Burgenländer pendeln nach Wien aus. Daran ändert auch die rege Bautätigkeit nach Abschluss des Staatsvertrages und Abzug der Russen im Jahr 1955 wenig.

1956 wird die von Landflucht geprägte Region zum Zufluchtsort Zigtausender Menschen. Mehr als 180.000 Ungarn fliehen nach der Niederschlagung des Volksaufstands durch die Russen ins westliche Ausland.


Erste Anlaufstation ist das Burgenland, wo großzügig Nachbarschaftshilfe geleistet wird. Zur Legende wird dabei die „Brücke von Andau“. Der US-Bestseller-Autor James A. Michener, damals als Berichterstatter vor Ort, hat ihr ein Buch gewidmet. In der „Brücke von Andau“ beschreibt er diese als „vielleicht die unbedeutendste Brücke Europas. Allein die Laune des Schicksals wollte es, dass sie einige Wochen hindurch zu einer der wichtigsten Brücken der Welt wurde“.
Ein Jahr später macht die Errichtung des Stacheldrahtzauns an der Grenze zu Ungarn das Burgenland zur Endstation des Westens. Hier sind Investitionen zur Verbesserung der Infrastruktur und der Lebensqualität sowie zur Identitätsfindung gefragt.

Ab Ende der 50er Jahre setzt der Modernisierungsprozess ein. Mitte der 60er Jahre wird von den Politikern schon der Slogan vom „Land auf der Überholspur“ geprägt. Es geht aufwärts: 1958 wird die burgenländische Landesstromgesellschaft BEWAG gegründet, bis dahin wurde das Burgenland von Niederösterreich und der Steiermark versorgt. Die Energieversorgung wird in der Folge entscheidend verbessert. Im Herbst 1960 wird Eisenstadt zur Diözese erhoben, erster Diözesanbischof wird der kroatisch, deutsch und ungarisch sprechende Burgenländer DDr. Stefan László.
Ende der 50er/Anfang der 60er Jahre werden die Bemühungen um die Ansiedlung von Betrieben belohnt. 1961-1963 werden 40 Unternehmen angesiedelt, die insgesamt 3000 Leute beschäftigen, der größte Betrieb ist die Konservenfabrik Felix Austria. Etwa nochmals so viele Burgenländer finden Arbeitsplätze in der zuliefernden Landwirtschaft.
Gleichzeitig bleibt die Forderung nach einer Bodenreform Spitzenthema der Tagespolitik. Der größte Großgrundbesitzer des Landes, Paul Esterhàzy, tritt 1959 und 1961 insgesamt 9.000 Hektar landwirtschaftlich genutzten Boden an Bauern ab. Es kommt dennoch in den 60er Jahren immer wieder zu Polemiken, sowohl seitens der Sozialisten als auch der Konservativen und von Esterhàzy selbst.


NR. 26, 01.07.1966
Theodor Kery wird Landeshauptmann
Auch ein politischer Umbruch findet im Burgenland statt. Seit dem Krieg hatte die ÖVP bei allen Wahlen die Mehrheit errungen, am 22. März 1964 gewinnt erstmals die SPÖ, ihr Spitzenkandidat Hans Bögl bleibt zwei Jahre Landeshauptmann. 1966 wird Theodor Kery zum LH gewählt, er behält dieses Amt 21 Jahre lang.

Die Kulturpolitik seit 1945 ist ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Entwicklung. Das erste Jahrzehnt war vom materiellen Wiederaufbau geprägt, da blieb wenig Zeit für Kultur als Freizeitvergnügen. Die wichtigsten Initiativen dieser Jahre waren die Gründung des Volksbildungswerkes und der burgenländischen Landesbühne. Ab etwa 1956 ist aber ein kultureller Aufbruch feststellbar. Die größte Motivation für Kulturprojekte ist die Hoffnung auf Tourismus. Die Burgspiele Schlaining und Forchtenstein entstehen. Am berühmtesten werden die Seefestspiele Mörbisch. 1957 wird die Idee des Staatsopernsängers Herbert Alsen, aus Mörbisch die „Heimstätte der österreichischen Operette mit ungarischem Kolorit zu machen“ Wirklichkeit. Die Seefestspiele eröffnen mit dem „Zigeunerbaron“.
Auch die zeitgenössische Kunstszene wird auf das Burgenland aufmerksam: Der burgenländische Bildhauer Karl Prantl gründet 1959 ein Symposium, das international Beachtung findet. Und das Internationale Kulturhistorische Symposion Mogersdorf ermöglicht eine Ostöffnung – zumindest im wissenschaftlichen Bereich - zur Zeit des Kalten Krieges. 1969 gegründet wird es seither an wechselnden Veranstaltungsorten im Burgenland, in Ungarn, Slowenien, Kroatien und der Steiermark zu kulturwissenschaftlichen Themen abgehalten.
Ein ganz anderes Ereignis löst aber die größte Begeisterung in dieser Ära aus: Der SC Eisenstadt steigt 1967 in die Fußball-Bundesliga auf.

Geschichte des Burgenlandes

  • I. Ein Bundesland wächst heran

    Zur Jahreswende 1921/22 kommt das Burgenland als „selbständiges, gleichberechtigtes Bundesland“ zur Republik Österreich. Die ersten Jahrzehnte sind geprägt von wirtschaftlichen Problemen und Identitätssuche.
    Erste Ansätze, sich als Naherholungsgebiet für die Wiener zu präsentieren, sind erfolgreich. 1934 wird auch hier die Demokratie abgeschafft, die Austrofaschisten übernehmen wie in ganz Österreich die Macht.

  • II. Das Burgenland zur Zeit des II. Weltkrieges

    Das Burgenland wird nach Machtübernahme der Nazis zwischen dem Gau Niederdonau und der Steiermark aufgeteilt. Nicht-Arier und politische Gegner werden wie im ganzen Reich verfolgt.
    Zu den Opfern der nationalsozialistischen Massenvernichtungspolitik gehören außer den Juden auch die Roma und Sinti. Am 29. März 1945 überschreitet die Rote Armee die Grenze des ehemaligen Burgenlandes.

  • III. Am Rand Europas

    Die Folgen des verheerenden Kriegs und die sowjetische Besatzung machen den Neuanfang schwierig. 1956 leisten die Burgenländer dennoch großzügige Nachbarschaftshilfe, als Zigtausende Ungarn über die Grenze fliehen.
    Die Errichtung des Stacheldrahtzauns isoliert das Burgenland. Ende der 50er /Anfang der 60er Jahre geht es aber wirtschaftlich deutlich aufwärts, damit einher geht auch ein Aufschwung in Kultur und Wissenschaft.

  • IV. Zurück ins Zentrum Europas

    Der Höhenflug hält – unterbrochen von Skandalen in den 80er Jahren - an. Endlich können auch die Volksgruppen im Burgenland wichtige Forderungen durchsetzen.
    Ein furchtbarer Schlag sind die Bombenanschläge von Oberwart und Stinatz 1995. Die Isolation des Burgenlandes wird um die Jahrtausendwende beendet. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs rücken der EU-Beitritt Österreichs und vor allem die EU-Osterweiterung das Burgenland wieder in die Mitte Europas